Algorithmen der Leidenschaft

Seit einem Jahr lenkt Sergio Solero die Geschicke von BMW (Schweiz) AG. Im Interview gibt der CEO Einblicke in seine Vision, neue Vertriebskonzepte und seine besondere Verbindung zur Schweiz.

  • Text: Daniel Huber
Algorithmen der Leidenschaft

Seit einem Jahr steht der Italiener Sergio Solero an der Spitze der BMW (Schweiz) AG. Im Interview spricht er über seine persönliche Faszination für die Schönheit und Vielfalt der Schweiz und über die entscheidenden Impulse, die er als CEO gesetzt hat – von der Lancierung des innovativen Vertriebskonzepts Retail.Next bis zum neuen Agenturmodell, das ab diesem Sommer – zuerst bei MINI – die Kunden noch stärker ins Zentrum rückt.

Sie haben vor einem Jahr, am 1. März 2024, die Leitung der BMW (Schweiz) AG übernommen. Was sind für Sie rückblickend die drei wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Zeit?
Ich wusste, dass ich in ein schönes Land komme, aber wie schön es tatsächlich ist, hat mich dann doch nochmals überrascht. Das ist meine wichtigste Erkenntnis aus diesem Jahr. Wenn man durch die Schweiz fährt, sieht man unglaublich viele schöne Orte – nicht nur in der Natur, sondern auch in den Städten. In Zürich oder Bern zum Beispiel, sind die baulichen Entwicklungen über Jahrhunderte hinweg auf engem Raum erhalten geblieben. Das findet man nicht oft. In vielen anderen europäischen Grossstädten hat der Krieg viel zerstört. Ich wohne im Zentrum von Zürich und geniesse es immer wieder, zu Fuss durch die Altstadt zu gehen.

Das Zweite ist sicher dieses einzigartige Nebeneinander der verschiedenen Kulturen. Natürlich weiss man als Aussenstehender, dass es drei, eigentlich sogar vier Landessprachen gibt. Aber es gibt noch viel mehr als nur die verschiedenen Sprachen. Jeder Kanton hat seine eigene Geschichte, seinen eigenen Hintergrund, seine eigene Sprache oder seinen eigenen Dialekt. Und natürlich seine eigenen Traditionen. Das gefällt mir sehr. Und es ist mir auch wichtig, diese Vielfalt noch besser zu verstehen. Deshalb lese ich viel darüber.

Und was ist die dritte Erkenntnis?
Die dritte hat mit dem Business zu tun – nämlich damit, wie stark unsere Marken hier in der Schweiz positioniert sind. Das wusste ich eigentlich schon, als ich noch in München gearbeitet habe. Aber vor Ort spürt man es noch viel deutlicher.

Dann kannten Sie die Schweiz also gar nicht so gut, obwohl Sie nur eine halbe Stunde von der Grenze entfernt in Mailand aufgewachsen sind?
Das ist tatsächlich so. Natürlich war ich ab und zu im Tessin, aber nur sehr selten. Eher noch im Engadin, weil die Familie eines guten Jugendfreundes ein Ferienhaus in St. Moritz hatte. Dorthin konnte ich oft mit – zum Skifahren im Winter oder zum Wandern im Sommer. Grundsätzlich bin ich auch kein Stadtmensch, obwohl ich in Milano geboren und aufgewachsen bin. Meine familiären Wurzeln liegen in den Dolomiten. Deshalb liebe ich die Berge so sehr.

Das Oberengadin hat sich in den letzten Jahren stark verändert, auch was die Herkunft der Gäste betrifft. Waren Sie in letzter Zeit wieder dort?
Ehrlich gesagt war ich letztes Jahr nur einmal im Engadin, aber nicht als Tourist. Ich habe unsere BMW Wintertrainings in Samedan besucht – und zwar ganz normal als Teilnehmer. Bewusst habe ich mich erst am Schluss mit einer kurzen Dankesrede als CEO der BMW (Schweiz) AG geoutet. Da gab es einige überraschte Gesichter. Aber für mich war es hochinteressant, weil ich während des Trainings natürlich mit anderen Kundinnen und Kunden, aber auch mit Interessenten verschiedener Marken im Auto sass. So konnte ich ungefiltert mitbekommen, wie die Menschen auf unsere Produkte reagieren. Die Kommentare und vor allem die Vergleiche mit den Autos unserer Mitbewerber waren extrem spannend.

Was hat die Kunden am meisten überrascht?
Vor allem unsere MINI Modelle und deren Wintertauglichkeit. Besonders beeindruckt waren alle von der Bergabfahrhilfe, die wir bei BMW schon seit vielen Jahren haben – jetzt gibt es sie auch für den Countryman. Und zu sehen, wie ein Countryman mit dem HDC-System eine Steigung von 40 Prozent kontrolliert hinunterfährt, hat viele Kunden wirklich überrascht. Andererseits konnten wir mit einer John Cooper Works Version des Countryman auch einige Donuts und andere spektakuläre Fahrmanöver auf Schnee machen – Dinge, die die meisten eigentlich nur mit unseren M Modellen für möglich gehalten hätten. Das war schon sehr, sehr cool.

Der Schweizer Markt gilt bei den grossen Automobilherstellern wegen der erwähnten kulturellen Vielfalt als beliebter Testmarkt. Sehen Sie das auch so?
Das ist definitiv der Fall. Bevor ich in die Schweiz kam, war ich fünf Jahre in zwei globalen Funktionen in der Zentrale in München tätig. Die Schweiz war für mich schon damals sehr wichtig, weil man hier auf kleinstem Raum die Kundensicht und das Verhalten von mindestens drei verschiedenen Märkten testen kann. Zudem ist die Schweizer Kundschaft besonders autobegeistert. Das schlägt sich auch in den Verkaufszahlen unserer sportlichsten Baureihen nieder. Wir haben im vergangenen Jahr in der Schweiz erneut den weltweit höchsten Anteil an verkauften M und M Performance Fahrzeugen verzeichnet. Dabei geht es unseren Kundinnen und Kunden nicht nur um die Leistung dieser Fahrzeuge, denn die lässt sich bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 Stundenkilometern auf der Autobahn nicht wirklich ausreizen. Sie sind vor allem von der Präzision und der Handwerkskunst dieser Modelle fasziniert. Ähnlich sieht es bei MINI aus. Der Anteil der John Cooper Works Modelle liegt bei fast 20 Prozent. Und auch hier geht es nicht nur um Leistung, sondern um die Liebe zum Detail und Individualisierung.

Gilt dies für die ganze Schweiz? Oder gibt es Regionen, in denen andere Dinge wichtiger sind?
Das ist in der ganzen Schweiz ziemlich einheitlich – und das gilt sowohl für BMW als auch für MINI. Unsere Kundinnen und Kunden sind aber generell an den neuesten Entwicklungen interessiert, sei es in technologischer Hinsicht, aber auch in Bezug auf Innovationen im Verkaufsprozess. Gerade für Letzteres sind unsere langjährigen Handelspartner wie Binelli Group sehr wichtig. So war Binelli Group eine der ersten Händlerinnen in der Schweiz, die unser neues Verkaufskonzept Retail. Next in ihrem neuen Showroom an der Badenerstrasse in Zürich umgesetzt hat.

«Dem Schweizer Kunden geht es nicht nur um die Leistung, sondern auch um die Liebe zum Detail.»

Was genau umfasst Retail.Next?
Es geht im Grunde um eine völlig neue Art der Interaktion mit unserer Kundschaft. Statt wie bisher das Auto in den Mittelpunkt zu stellen, geht es viel mehr um die Menschen selbst. Dementsprechend werden auch die Autos in den Showrooms anders präsentiert und nehmen deutlich weniger Platz ein. Dafür gibt es einladende Lounges, in denen die Kundenberaterinnen und -berater auf Monitoren oder iPads die verschiedenen Details und Konfigurationen der Autos zeigen können. Wir nutzen also verstärkt die digitalen Möglichkeiten, um alle unsere Fahrzeuge und Technologien bestmöglich zu präsentieren. Zusätzlich haben wir leistungsfähigere IT-Systeme implementiert, die effizientere Prozesse in der Kundenbetreuung ermöglichen. Es ist also eine echte Revolution des Verkaufskonzepts – weg vom reinen Showroom, hin zu einer einladenden Lounge-Atmosphäre.

Glauben Sie immer noch daran, dass der physische Kontakt beim Autokauf wichtig bleibt? Alle anderen Einkäufe verlagern sich mehr und mehr in mein eigenes Wohnzimmer, an meinen eigenen Computer.
Davon bin ich überzeugt. Gerade für unsere Marken, bei denen sich der Fahrspass nicht nur digital vermitteln lässt – auch nicht mit einem schönen Video vom Driften auf Schnee im Engadin. Am Ende will man das Auto immer noch analog testen, die Haptik spüren und die Materialien erleben. Ich persönlich denke, dass die neue Kundengeneration zwar gerne entscheidet, welchen Teil der Customer Journey sie digital abwickeln möchte, doch für den eigentlichen Autokauf oder den Service danach wird der persönliche Kontakt weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Vieles ist bereits online von zu Hause aus möglich. Eine Probefahrt hingegen kann man nach wie vor nur physisch beim Händler machen – wobei sich der Termin mit einem bestimmten Modell bereits heute natürlich online reservieren lässt.

Retail.Next ist aber erst der Anfang. Schon bald soll das sogenannte Agenturmodell folgen. Was genau ist das?
Das Agenturmodell geht noch einen Schritt weiter und wird in diesem Sommer in der Schweiz für die Marke MINI eingeführt. Seit rund 120 Jahren werden Autos über den Grosshandel verkauft. Das heisst, der Händler kauft, sagen wir, 100 Autos vom Importeur und verkauft sie dann aus seinem Lager weiter.

Und bestimmt dabei auch den Preis…
Richtig, die Autos gehören ja ihm. Nun gibt es aber nicht nur grosse Händler mit grossen Stückzahlen. Andere verkaufen vielleicht nur 20 oder sogar nur zehn Autos. Dieses System bringt einige Nachteile und Risiken für den Händler mit sich, vor allem in Bezug auf die finanzielle Belastung, die ein solcher Fahrzeugbestand bedeutet. Gleichzeitig ist dieses System nicht optimal, was die Kostentransparenz angeht: Der Preis wird vom Händler festgelegt und so weiss man als Kundin oder Kunde nie, ob man einen fairen Preis für das Fahrzeug bezahlt, oder nicht. Beim Agenturmodell sind die Fahrzeuge in unserem Besitz. Wir legen den Preis zentral fest, verwalten den Fahrzeugbestand und tragen das finanzielle Risiko. Die Kunden zahlen also in der ganzen Schweiz für das gleiche Auto den gleichen Preis. Der Kunde wählt genau das Modell in der Farbe und Konfiguration, das seinen Vorstellungen und Wünschen entspricht. Im besten Fall steht ein solches Modell mit wenigen Abweichungen bereits in unserem Zentrallager und kann in ein bis zwei Wochen beim Händler abgeholt werden. Falls das nicht der Fall ist, bestellen wir exakt das gewünschte Auto im Werk – dann dauert es etwas länger, je nachdem, in welchem Teil der Welt das Fahrzeug produziert wird. Grundsätzlich macht das neue System den gesamten Prozess für unsere Kundinnen und Kunden deutlich transparenter und einfacher.

«In der Schweiz kann man auf kleinstem Raum das Verhalten von mindestens drei verschiedenen Märkten testen.»

Die Vorteile für den Kunden sehe ich durchaus. Wie reagieren die Händler, die mit dem neuen Modell einen Teil ihrer unternehmerischen Autonomie aufgeben?
Wir wollen und müssen diesen tiefgreifenden Wandel gemeinsam mit unseren Händlern vollziehen. Es geht nicht darum, dass wir in eine völlig neue, digitale Welt einsteigen und die Autos ausschliesslich selbst verkaufen wollen. Das ist überhaupt nicht der Fall. Wir versuchen lediglich sicherzustellen, dass sich unser Verkaufspersonal voll und ganz auf die Kundschaft und deren Bedürfnisse konzentrieren. Zudem gibt es Innovationen, die auch in bestehenden Fahrzeuge nachgerüstet werden können. Wir nennen das «Connected Drive Upgrade». Mit anderen Worten: Viele bereits ausgelieferte Fahrzeuge sind technisch darauf vorbereitet, einige dieser zusätzlichen Funktionen zu einem späteren Zeitpunkt zu erhalten – in manchen Fällen sogar mit bereits vorinstallierter Hardware. Und beim nächsten Service können wir solche Extras ganz einfach anbieten. Das schätzen unsere modernen Kundinnen und Kunden sehr.

Sind Ihre Händler und das Verkaufspersonal gut auf diesen Wandel vorbereitet?
Diese Veränderungen erfordern natürlich gezieltes Coaching und Training. Wir arbeiten auch an der Einführung eines komplett neuen IT-Systems auf höchstem Niveau. Dabei gehört die Schweiz nicht zu den ersten Märkten. Wir starten am 1. Juli zuerst mit MINI und können so alles noch einmal testen. MINI ist in der Angebotsstruktur und der Auswahl an unterschiedlichen Modellen reduzierter aufgestellt als BMW und daher prädestiniert, eine Vorreiterrolle bei der Umstellung unseres Vertriebsmodells einzunehmen. Da wir das System in der Schweiz zudem in drei Sprachen benötigen, haben wir gewartet, bis Frankreich, Italien, Deutschland und Österreich bereits online sind. So können wir auch von den ersten Erfahrungen in diesen Märkten profitieren. Ich bin überzeugt, dass wir mit unserer Handelsorganisation und ihren Mitarbeitenden, die seit Jahren hervorragende Arbeit leisten, eine super Basis für diesen Wandel haben.

Eigentlich hat BMW schon vor etwas mehr als zehn Jahren eine Art Agenturmodell ausgerollt, als das erste Elektromodell i3 auf den Markt kam. Welche Erkenntnisse konnten Sie aus dieser Zeit gewinnen?
In gewisser Weise war das Konzept des i3 seiner Zeit wohl voraus. Ein in Punkto Design und Technologie so neuartiges Auto zusätzlich über einen neuen Vertriebskanal zu verkaufen, war eine grosse Herausforderung. Anders als das Agenturmodell, das wir jetzt einführen, war es damals eine Mischung aus Grosshandels – und Agenturmodell. Zudem fehlte die notwendige IT-Infrastruktur. Andererseits war es für uns rückblickend ein guter Test. Genau das ist wahrscheinlich der entscheidende Vorteil, den wir heute gegenüber unseren Mitbewerbern haben: Wir wissen aus eigener Erfahrung, was nicht funktioniert hat. Wichtig ist, dass wir aus den Fehlern gelernt haben.

Hat sich BMW – ähnlich wie Mercedes – ein Ziel gesetzt, ab wann nur noch emissionsfreie Fahrzeuge produziert werden?
Nein, das haben wir nicht. Wie gesagt, wir glauben, dass die Zukunft der individuellen Mobilität elektrisch oder zumindest emissionsfrei sein wird. Doch wie schnell das umgesetzt wird, entscheidet letztlich die Kundschaft sowie die regulatorischen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern.

Worin liegen die Herausforderungen der Elektromobilität in der Schweiz? Wie könnten Schweizerinnen und Schweizer noch stärker für Elektromobilität begeistert werden?
Wir verkaufen die gleichen Autos in der Schweiz, in den Niederlanden oder in Norwegen. Doch in Norwegen und den Niederlanden werden anteilsmässig deutlich mehr Elektrofahrzeuge verkauft als in der Schweiz. Sind die Schweizer Kunden weniger an der Elektromobilität interessiert, als die Kunden in den Niederlanden? Nein, das glaube ich nicht. Aber in den Niederlanden gibt es an jeder Ecke eine Ladestation. Auf den Autobahnen ist die Situation inzwischen recht gut, doch für kleinere Fahrzeuge mit geringerer Reichweite braucht es unbedingt eine bessere, dichtere Ladeinfrastruktur – in der Stadt, in den Parkhäusern der Supermärkte, im Fitnesscenter, im Skigebiet und vor allem auch zu Hause in der Garage einer Mietwohnung. Hier hat die Schweiz noch grossen Nachholbedarf. Aber ich bin überzeugt, dass wir da auf einem guten Weg sind und die richtigen Diskussionen mit den Behörden laufen.

Zur Person
Sergio Solero, geboren 1971, ist seit dem 1. März 2024 Präsident und CEO der BMW (Schweiz) AG. Der gebürtige Italiener bringt über 25 Jahre Erfahrung in der Automobilbranche mit und hat bereits verschiedene Führungspositionen innerhalb der BMW Group bekleidet. Unter anderem war er CEO von BMW Italien und spielte eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung neuer Vertriebsstrategien. Sergio Solero ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.

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