Unternehmer Gianni Vergani über Autos, Wein und Italianità als Erfolgsrezept.
Seit über 130 Jahren steht der Familienname Vergani für italienischen Genuss, allem voran für solchen aus der Flasche. Mit Gianni Vergani hat vor zwei Jahren die fünfte Generation das Geschäft übernommen.
Gianni Vergani, wir sitzen an der Löwenstrasse 42 im Zentrum von Zürich, umgeben von unzähligen Flaschen Wein, empfangen von strahlendem Personal, vor einem exquisiten Espresso. Wo sind wir hier?
Das ist unser jüngstes Kind. Ich nenne diesen Ort unseren Concept Store. Es ist unsere Weinhandlung, aber gleichzeitig auch eine Erlebniswelt, wo man das Lebensgefühl, für das wir bei Vergani stehen, bei einem Aperitif an der Bar, an Tastings, Tavolatas und Weinkursen erleben kann. Wein hat einen starken sozialen und geniesserischen Aspekt. Diese Werte möchten wir hier – neben der professionellen Beratung – in Form von Erlebnissen in den Fokus stellen.
Die Eröffnung des Vergani-Concept-Stores ist gegen aussen Ihre erste richtig grosse Tat, seit Sie vor knapp anderthalb Jahren die Nachfolge Ihres Vaters angetreten haben. Was ist Ihre Vision?
Die Eröffnung dieses Ortes ist für uns als Familienunternehmen eine neue Erfahrung und ein grosser Schritt in eine neue Richtung. Unser Kernbusiness ist die Belieferung der Gastronomie. Das ist unsere DNA. Mit dem neuen Store öffnen wir uns nun stärker für die private Kundschaft. Unsere Ziele sind gross. So möchten wir in diesem Kundensegment die bekannteste Marke für «Wein-Lifestyle» in der Schweiz werden.
Ein grosser Schritt ins Unbekannte – brauchte er Mut?
Mein Vater hat mich in den über 10 Jahren vor der Übergabe der Geschäftsführung bereits ganz viele Dinge testen und ausprobieren lassen, dafür bin ich ihm heute enorm dankbar. Es war also kein Kaltstart. Dennoch brauchte es Mut – von allen Beteiligten. Lange war mein Vater skeptisch: «Warum etwas ändern, das gut läuft?», so sein Einwand. Doch dann hat er realisiert, wie sehr ich für die Idee brenne und irgendwann meinte er: «Weisst du, Gianni, der Kopf zögert noch, aber das Herz sagt langsam ja.» Das war mein Zeichen, loszulegen.
«Die Innovation von heute ist die Tradition von morgen» – diesen Satz liest man als eine Art inoffizielles Familienmotto auf Ihrer Website. Auch Ihr Vater hat, ähnlich wie Sie heute, damals Dinge in Frage gestellt und radikal geändert.
Und wie! Lange war Vergani ein kleiner Weinhandel, vor allem aber ein Comestibles-Geschäft im Kreis 3. Auch mein Vater hat dort gearbeitet. Ich erinnere mich an die Geschichten, wie er jeweils schimpfte, wenn er kurz vor Feierabend die Aufschnittmaschine schon gereinigt hatte und dann noch jemand kam und Prosciutto wollte. Irgendwann beschloss mein Vater, diesen Zweig des Geschäfts aufzugeben und voll auf den Wein und die Zusammenarbeit mit der Gastronomie zu setzen. Zudem eröffnete er, dort wo früher der Comestibles war, die erste Grapperia der Schweiz.
Wie Binelli Group ist auch Vergani ein über 100-jähriges Unternehmen. Wie schafft man das? Welche Eigenschaften braucht es dafür?
Wir sind ein Familienunternehmen und – da spüre ich eine starke Nähe zu Binelli – uns sind Werte extrem wichtig. Diese werden innerhalb der Familie hochgehalten, denn man würde nie etwas machen, was dem Namen schadet. Man geht keine unnötigen Risiken ein und sagt lieber einmal öfters nein zu Dingen, die nicht überzeugen. Der springende Punkt ist es nun, diese Werte zur gelebten Betriebskultur zu machen und auch die Mitarbeitenden ins Boot zu holen. Wenn das konsequent und authentisch gelebt wird, ist das mehr wert als jede ausgeklügelte Strategie – oder wie man auch so schön sagt: «Culture eats strategy for breakfast».
Italienisches Unternehmertum steht an den Ursprüngen sowohl von Vergani als auch von Binelli Group und hat in Zürich grosse Tradition. Was haben diese altgedienten, von den ersten Gastarbeiter:innen-Generationen begründeten Betriebe gemeinsam?
Ich glaube, in diesen Communities lebte man eine grosse Verbundenheit. Diese entstand vor allem aus der Erfahrung von Not und Ausgrenzung. Daraus erwuchsen das Bestreben, es nach oben zu schaffen und das «Gschaffige», das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Mein Ur-Ur-Ur-Grossvater ist mit der sogenannten ersten Welle von Gastarbeiter:innen aus Bergamo nach Zürich gekommen und hat hier als Maurer am Bau des Opernhauses gearbeitet. Er war es, der unser Geschäft mit einem einfachen italienischen Lebensmittelladen am Idaplatz gründete.
Wer mit Vergani zu tun hat, kommt um das Familiäre nicht herum. Der Begriff Familie scheint Ihnen einiges mehr zu bedeuten als nur Blutsverwandtschaft.
In unserer Familie gibt es den Spruch: «Wenn auch die Chauffeure auf eine Hochzeit in der Kundschaft eingeladen werden, hat man alles richtig gemacht.» Diese familiäre Firmenkultur hat bereits mein Vater gepflegt – als klassischer Patron und top-down. Ich arbeite an einem Kulturwandel und wünsche mir starke Mitarbeitende, die sich unternehmerisch einbringen und wachsen können. Auch bei uns gibt es nichts bedingungslos, aber wir wollen ermöglichen und wir handeln grosszügig und fair.
Zum Schluss noch etwas Real Talk: Wenn Sie entscheiden müssten, würden Sie lieber Auto-frei oder lieber Wein-frei leben?
Ganz klar Auto-frei. Was wären wir Verganis denn ohne den Wein!? Obwohl, praktisch gesehen, würde ich nicht aufs Auto verzichten wollen, emotional keinesfalls auf den Wein. Schwierige Frage!
Spass beiseite: Weder Auto noch Wein sind Produkte des täglichen Bedarfs – was ist ihre Berechtigung heute?
Viele unserer Weine im Concept Store und auch die Autos, die man zum Beispiel bei Binelli Group erleben kann, sind «accessible luxury». Mit solchen Produkten lässt sich das Leben zelebrieren. Übrigens auch etwas, das wir uns bei Vergani immer wieder sehr bewusst machen und mit ein Grund dafür, dass wir für die Kooperation mit Binelli Group einen italienischen Schaumwein ausgewählt haben.
Und zwar nicht irgendeinen Schaumwein – oder?
Aktuell gibt es meiner Meinung nach in der Weinwelt nichts Überzeugenderes und Innovativeres als Franciacorta, das italienische Pendant zum Champagner. Für Binelli Group fiel unsere Wahl auf den Franciacorta von Ca’del Bosco in der Lombardei, wo Maurizio Zanella als einer der ersten angefangen hat, italienischen Schaumwein nach der «méthode traditionelle» zu produzieren. Während Champagner heutzutage oft ein Massenprodukt ist, bedient Franciacorta eine Nische und ist deshalb immer ein Qualitätsprodukt. Im visionären Flair von Maurizio Zanella, dem Qualitätsdenken und der Stärke der Marke Ca’del Bosco sehe ich viele Parallelen zu Binelli Group – und zu uns.
Obwohl ich befürchte, dass Sie diese Frage gerade indirekt beantwortet haben: Was trinken Sie selber am liebsten?
Ich trinke immer dann besonders gern, wenn ich bei einem Wein einen Bezug zu einer Person oder zu einem Ort habe. Da kommt neben dem sensorischen Erlebnis auch eine emotionale Ebene ins Spiel. Beim Weisswein geht mir darum nichts über die legendären Collio-Weine von Mario Schiopetto aus dem Friaul. Im Bereich Rotwein zieht es mich in die Toskana, genauer gesagt zu den Weinen von Collazzi. Bei den Schaumweinen ist mir, Sie ahnen es, der Franciacorta von Ca’del Bosco mit Abstand der Liebste.